Jeder von uns kennt und die meisten haben sie: Kleine Helferchen, die uns den Handarbeitsalltag versüßen, drastisch vereinfachen oder einfach nur absolut nutzlos sind, dafür aber hübsch aussehen.
Bevor ich meine Häkel- und Strickkarriere begonnen habe, strickte in meinem Umfeld ausschließlich meine Oma. Außer einem Maßband, ein paar starren Rundstrick- und Zopfnadeln fiel mir nie etwas Besonderes an ihren Strickarbeiten auf. Alle Hilfsmittel waren grau und irgendwie langweilig, wenn auch vollkommen zweckmäßig. 2020 war es so weit und meine Oma und ich strickten das erste Mal gleichzeitig in meinem Garten. Während sie ihren Gefrierbeutel mit Stricksachen aus ihrer stinknormalen Handtasche holte, packte ich meine neue „Projekttasche“ aus, wühlte aus den vielen kleinen Fächern das Garn und die kunterbunten Maschenmarkierer hervor, die farblich optimal mein neues Projekt ergänzen sollten und die neuen KnitPro Nadeln perfektionierten das Gesamtbild! Zwar fand meine Oma die Maschenmarkierer großartig, aber ich spürte, dass sie sich niemals einen solchen Kokolores kaufen würde – schon gar keine Tasche für ihre Strickutensilien.
An der Stelle möchte ich direkt vorwegnehmen, dass natürlich kein Mensch, einen schlafenden Fuchs, eine weinende Katze, eine Tüte Eiscreme oder einen fliegenden Esel als Markierer braucht und absolut niemand benötigt ein handgesägtes Sockenbrett mit einer eingebrannten Sonnenblume im Holz… aber warum kaufe ich trotzdem immer wieder solche Dinge? Grundsätzlich kann ich für mich festhalten, dass ich auch im restlichen Leben auf Chichi stehe. Ich bin alles andere als ein Püppchen, aber nur der mangelnden Ware ist es zu verdanken, dass mein Hund kein Petersiliendekor auf sein Fressen drapiert bekommt, während ich ihm einen guten Appetit wünsche. Wenn sich Gäste in meinen Garten verirren, liebe ich es, sie mit Deko zu verwöhnen, ein Thema auszurufen und das Essen darauf abzustimmen. Sicherlich ist das ein Booster für meine Leidenschaft, mich auch in der Handarbeit mit schönen Dingen zu umgeben, aber steckt da vielleicht mehr dahinter?
In einer digitalen Zeit, in der sich jeder von uns schnell wie ein Sandkorn in der Wüste-Internet fühlt, wird Individualität immer mehr zur Massensehnsucht. Ich möchte keinem unterstellen, dass er auffallen möchte, um des AuffallensWillen, aber ich glaube, die meisten möchte als Persönlichkeit „gesehen werden“. Wir möchten ausdrücken, wer wir sind und was uns ausmacht. Unsere Maschenmarkierer werden schnell zu einem sozialen Statement und während die einen Regenbogenflaggen hissen, gibt es wieder andere mit „Go-Vegan“ Botschaften, die erst auf dem zweiten Blick auffallen. Während zu Oma`s Zeiten einfache Büroklammern oder ein Stück Garn herhalten mussten, haben sich mittlerweile unzählige kleine Betriebe gebildet, die mit genau diesen Dingen ihr Geld verdienen. Solange niemand von der Handarbeits-Gesellschaft dazu genötigt wird und es jedem Geldbeutel freisteht, ob er kleine Torten als Maschenmarkierer nutzt oder doch alte Autoreifen, empfinde ich diesen bunten Mix als erfrischend offenen Einblick in die Leben der Anderen. Selbst dem Schüchternsten ist es so möglich, eine kleine Flaschenpost in die große See zu schmeißen und damit seine Duftmarke zu setzen, ohne seine Community direkt anzusprechen. Ich würde sagen, unsere kleinen Helfer haben mittlerweile die Anti-Atom-Aufkleber auf den Autoscheiben abgelöst.
Die Spanne der nützlichen und weniger nützlichen Utensilien ist breit und wahrscheinlich ALLES wurde in irgendeiner Art und Weise verschönert oder sogar optimiert. Wer kennt nicht die Storchenschere* oder die bunten Garnschalen mit Gesichtern, die als „Rotz“ den Faden aus der Nase laufen lassen? Die kleinen Helfer sind politisch, sie sind lustig und vor allem alles andere als langweilig! Auch wenn ich vieles für mich selbst nicht benötige und auch eine Projekttasche mehr als ausreichend finde, finde ich es wundervoll, wie bunt die Handarbeitswelt aussieht und wie clever so manch eine Idee ist. Maschenprobenrahmen*, Sockenlineale oder auch Ringe*, die eine optimale Garnführung ermöglichen, sind nur ein Teil dieser gesamten Industrie. Wer von uns hat sich noch nie über den verblichenen Aufdruck der Nadelstärke auf seinen Nadeln geärgert und nutzt dann – im Optimalfall – seinen Nadelstärkenbestimmer*? Zugegeben, dieses Ding ist mit das Nützlichste aller kleinen Helferchen! Letztendlich kann man auch ohne Schere in Storchenform einen Faden kappen, aber den Unterschied zwischen einer 2,25er und einer 2,5er Nadel anhand eines kritischen Blicks zu bestimmen ist durchaus ein Wagnis. Aber auch eine einfache Leselampe ist absolut Gold wert! Wer kennt es nicht? Es ist zu dunkel, um zu stricken, das Garn strengt die Augen an, aber man möchte keine Festtagsbeleuchtung einschalten. Neben dem Nadelmaß, eindeutig mein Lieblingshelfer!
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In meinem Leben, außerhalb der Handarbeitswelt, bin ich der absolute Industrieschreck und Antikonsument. Ich trage seit 7? 8? Jahren die gleiche abgeranzte Jacke und bin damit wohl mehr Shabby als Chic. Zwar ist meine Wohnung alles andere als leer, aber die angesammelten Dinge sind schlichtweg ein Bild der letzten 150 Jahre meines Lebens. Meine Handys sind ausschließlich Second-Hand, meine Gemüsereste sammele ich im Tiefkühler, bis ich eine Brühe daraus kochen kann und auch meine Tischdekorationen kommen immer aus der Natur. Aber selbst ich habe eine kleine Sammlung an bunten Dingen, die ich hin und wieder um ein neues Teil erweitere. Zwar bleibe ich meiner Linie in gewisser Art und Weise treu und kaufe nicht Unmengen an Taschen, aber den hübschen Scheren, Markierern (ihr merkt, ich liebe Maschenmarkierer!) oder auch schönen Sockenbrettern bin ich hoffnungslos verfallen.
Halte ich euch und eure zehnte Projekttasche für verrückt oder weil ihr ein Einhorn als Rundenmarkierer verwendet? Vielleicht…. Tut meine Oma es? Auf jeden Fall! Aber wisst ihr was? Es ist vollkommen egal, was ich denke, solange es euch glücklich macht. Kreative Geister brauchten schon immer Futter und Inspiration. Holt sie euch, wo auch immer ihr mögt 🙂
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Günter
16. November 2022 — 19:26
Hallo Steffi
Bin durch Zufall auf deinen Blog gestoßen.
Und was soll ich sagen: Du sprichst mir ebenfalls aus der Seele. Ich stricke seit vielen Jahren-als Mann- habe mein Strickzeug immer dabei und lasse jeden Monat ein kleines Vermögen im Wollgeschäft. Und ich liebe Bücher. Diese weg zu schmeißen wäre für mich ein Verbrechen. Das gemütliche schmökern in einem Buch, das man schon hunderte Mal gelesen hat, das Gefühl beim umblättern der Seiten hat irgend etwas magisches. Sich selbst treu zu bleiben und nicht jeder Strömung zu folgen: Mutig und ehrlich
Woll.Verine
17. November 2022 — 21:27
Guten Abend und vielen Dank, dass du meine Kommentarspalte bereicherst!
Ich hoffe, deinem Beispiel werden noch viele Männer folgen – das Hobby ist einfach zu schön, um nur uns Frauen zu „gehören“ 🙂 Und nein, ein Buch wegschmeißen wäre kalt und gefühllos. Ich lese zwar (leider) seit langem nicht mehr, aber meine Bücher würde ich niemals hergeben.
Viele Grüße
Steffi
Dora
10. Dezember 2024 — 01:10
Vielleicht wissen viele nicht, das eigentlich das Stricken von Männern entdeckt wurde.
Ich finde es toll. Weiterhin viel Spass und Erfolg.
Gabika Strickfee
14. September 2022 — 14:18
Liebe Steffi, ich finde deine Artikel immer wieder so erfrischend! Du sprichst mir aus dem Herzen, egal ob es um Chichi oder Ufos oder geschenkte Lebenszeit geht. Bitte mach weiter so!
Woll.Verine
18. September 2022 — 22:25
Guten Abend und vielen herzlichen Dank!
Es freut mich sehr, wenn ich Gleichgesinnte finde. Man fühlt sich gleich nicht mehr so allein 😀
Viele Grüße und auf noch viele weitere Artikel
Steffi
Doris S.
29. August 2021 — 12:16
Liebe Stefanie
Herrlich, dass jemand zu seiner Leidenschaft für Chichi steht! Bei dem heutigen Drang zu „Minimalsmus“, der Konformität gleichkommt, eine Wohltat!
Ich stehe auch dazu: ich liebe Deko, Farbwechsel und Gestaltung mit Blumen, Holz, Glas, etc. Ich finde es barbarisch, dass man „Bücher ausmisten“ soll!!!! Und ich liebe Handarbeiten, Schals, Mützen, Handschuhe, Socken, die garblich aufeinander abgestimmt sind und jede Saison anders kombiniert werden; und wenn man sie dann „über“ hat, kommen sie in den Altkleidersack, um anderen dienlich sind und zur Freude gereichen….
Liebe Grüsse
Doro
Woll.Verine
29. August 2021 — 19:18
Hey Doro,
beim Stichwort Buchausmisten kriege ich direkt Kreislaufprobleme 😀 Mein Freund hätte gerne ein leeres Bücherregal mit einem E-Book Reader in der Mitte, ich eine eigene Bibliothek mit alten, nach Papier riechenden Büchern. Ich habe heute noch Fäden vernäht, fröhlich zu meiner grünen Metallstorchenschere gegriffen und mich einfach gefreut, die schönste Schere im Umkreis zu haben 🙂 Manchmal sind es eben Kleinigkeiten, die den Moment zu etwas Besonderem machen.
Liebe Grüße
Steffi